Die aktuelle Ausgabe «forum:logopädie» des DBL (Deutscher Berufsverband für Logopädie) befasst sich ausschliesslich mit der therapeutischen Arbeit auf der Intensivstation. Es ist äusserst erfreulich, dass wichtige Beiträge, die wir Logopäd:Innen und andere therapeutische Berufsgruppen auf der Intensivstation leisten können, mehr und mehr beachtet werden.
Gerade aus der Sicht der Dysphagie ist das auch dringend notwendig. Eine aktuelle Publikation (Spronk et al. 2022) hat die leider immer noch vorhandene Diskrepanz zwischen der hohen Prävalenz der Dysphagien und der eingeschränkten Wahrnehmung dieses Problems eindrücklich aufgezeigt. Diese Nichtbeachtung der Dysphagie trägt nachweislich zu einer verlängerten intensivmedizinischen Behandlungspflicht infolge vermehrter Komplikationen bis hin zu einer erhöhten Sterblichkeit bei. Schon fast erschreckend ist das Ergebnis in der bereits erwähnten Studie, dass lediglich 4% der Intensivstationen (es wurden 746 Intensivstationen aus 24 Ländern befragt) qualifizierte Logopäd:Innen im Behandlungsteam integriert hatten (vergl. Artikel «Dysphagie auf der Intensivstation» im «forum:logopädie).
Es braucht noch grosse Anstrengungen, damit den Dysphagien auf den Intensivstationen angemessene Beachtung geschenkt wird. Gerade bei tracheotomierten und invasiv beatmeten Patient:Innen kann oft noch viel früher mit dem Einsatz beatmungskompatibler Sprechventile begonnen werden, was sich nicht nur auf die Kommunikation positiv auswirkt, sondern auch ein wesentlicher Beitrag für Prävention und Behandlung der Dysphagien darstellt (vergl. Artikel «Trotz Beatmung sprechen?») . Auch die Delirbehandlung kann selbstverständlich nur profitieren, wenn Patient:Innen sich äussern können. Das Ausmass des Delirs lässt sich mit mündlicher Kommunikationsfähigkeit viel besser abschätzen (vergl. Artikel «Herausforderung Delir»).
Die Ausgabe lohnt sich unbedingt zu lesen für alle, die auf der Intensivstation arbeiten oder sich für eine bessere therapeutische Versorgung der Betroffenen Intensivpatient:innen einsetzen wollen.
Als kleiner Wermutstropfen sei erwähnt, dass in einzelnen Artikeln immer noch die Meinung durchschimmert, dass bei tracheotomierten Patient:Innen mit der Dysphagiediagnostik und -therapie erst in beatmungsfreien Zeiten begonnen werden kann oder dass beatmungskompatible Sprechventile erst viel zu spät in Betracht gezogen werden, etwa wenn sich eine Dauerbeatmung mit Verlegung in eine Institution oder nach Hause abzeichnet. Damit zeigen sich widersprüchliche Aussagen zwischen den verschiedenen Artikeln dieses Heftes, denn all die positiven Effekte beatmungskompatibler Sprechventile für die Kommunikation, die Dysphagie oder auch die Delirbehandlung werden an anderen Stellen sehr kompetent erwähnt und mit Evidenz unterlegt.
Literatur:
Spronk PE, Spronk LEJ, Egerod I, McGaughey J, McRae J, Rose L, Brodsky MB; DICE study investigators. Dysphagia in Intensive Care Evaluation (DICE): An International Cross-Sectional Survey. Dysphagia. 2022 Jan 29. doi: 10.1007/s00455-021-10389-y. Epub ahead of print. PMID: 35092486.